Viele der regelmäßigen Leser wissen und kennen es schon, ab und an nutze ich Fragen aus dem LiveChat, gerade wenn diese häufiger auftreten, um daraus einen Beitrag zu machen und einige Punkte etwas genauer und umfangreicher zu erklären. Eines der häufig nachgefragten Themen betrifft die vorvertragliche Anzeigepflicht, dazu habe ich auch in den vergangenen Wochen, Monaten, Jahren einiges veröffentlicht. Heute geht es aber um die Frage wann, oder besser bis wann, welche Angaben nachgemeldet werden müssen um der Anzeigepflicht gerecht zu werden.
Nehmen wir als Aufhänger eine- sich wiederholende- Frage aus dem gestrigen Chat.
Ok, falls Sie jetzt schmunzeln, tat ich auch, eher wegen der Frage wie eine Schwangerschaft unbemerkt eintreten kann und das auch noch während eines Antrages auf PKV, ja, ja, die Onlineberatung macht es möglich. 🙂 Doch nun Spaß beiseite und zu der doch wichtigen und ernsten Frage der Anzeigepflicht, den nötigen Nachmeldungen und wann bzw. bis wann etwas anzugeben ist.
formeller, materieller und technischer Beginn – die Begriffe
Bevor wir zu der eigentlichen Frage kommen, etwas Grundlagenwissen, das brauchen wir schon allein für das bessere Verständnis. Wir unterscheiden also zwischen drei unterschiedlichen Beginnen in der Versicherungswirtschaft.
FORMELLER BEGINN
Dieser “förmliche” Versicherungsbeginn bezeichnet den Zeitpunkt des rechtlich bindenden Vertragsabschlusses. Die Vertragsannahme erfolgt durch den Versicherer, indem er die Police an den Versicherungsnehmer zustellt. Dieser formelle Beginn bestimmt in der Regel die Fälligkeit der Versicherungsprämie, sie kann jedoch auch auf einen Termin vor oder nach dem formellen Beginn gelegt werden. Auch die Übernahme des Versicherungsschutzes, auch der kann mit entsprechender Vereinbarung vor, zum oder auch nach dem formellen Beginn sein.
MATERIELLER BEGINN
Dieser “materielle Beginn” ist der Beginn der Haftung, also der Zeitpunkt an dem der Versicherer tatsächlich und wirklich den Versicherungsschutz übernimmt. Passiert also ab diesem Zeitpunkt etwas, so ist der Versicherer ab dort haftbar und muss für eventuell versicherte Schäden gerade stehen. Ist nichts abweichendes oder besonderes vereinbart, legt das VVG, also das Versicherungsvertragsgesetz, den materiellen Beginn auf den Zeitpunkt des formellen Beginns fest.
TECHNISCHER BEGINN
Der letzter der drei “Beginne” ist der technische Beginn. Der Termin, den Sie im Antrag unter dem gewünschten Versicherungsbeginn eintragen. In der Krankenversicherung, wo meist noch eine gesetzliche Krankenkasse gekündigt werden muss, liegt der oft in der Zukunft, also zum Beispiel am 01. Januar des Folgejahres. Der technische Beginn kann vor dem formellen (der Annahme des Vertrages) und dem materiellen (dem Beginn des Schutzes) Beginn liegen. Ist dem so, so sind die Beiträge ab dem technischen Beginn zu zahlen. Zu diesem Zeitpunkt ist dann der Antrag unter Umständen noch nicht angenommen und der Versicherer haftet noch nicht für eingetretene Schäden. Ein Vorverlegen des technischen Beginns kann in einigen Sparten sinnvoll sein, um Vorteile zu haben. Dieses kann ein verbessertes Eintrittsalter in der Personenversicherung, oder eine bessere Einstufung in der Kfz Versicherung sein, wodurch sich die Beiträge während der Laufzeit reduzieren.
Der Beginn in der privaten Krankenversicherung (MB/KK)
In den Musterbedingungen der privaten Krankenversicherung, den MB/KK 2009 gibt es dazu weitere Regelungen, wann und wie der Versicherungsschutz beginnt. Diese regeln in §2 folgendes:
§ 2 Beginn des Versicherungsschutzes
(1) Der Versicherungsschutz beginnt mit dem im Versicherungsschein bezeichneten Zeitpunkt (Versicherungsbeginn), jedoch nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrages (insbesondere Zugang des Versicherungsscheines oder einer schriftlichen Annahmeerklärung) und nicht vor Ablauf von Wartezeiten. Für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, wird nicht geleistet. Nach Abschluss des Versicherungsvertrages eingetretene Versicherungsfälle sind nur für den Teil von der Leistungspflicht ausgeschlossen, der in die Zeit vor Versicherungsbeginn oder in Wartezeiten fällt. Bei Vertragsänderungen gelten die Sätze 1 bis 3 für den hinzukommenden Teil des Versicherungsschutzes.
(2) Bei Neugeborenen beginnt der Versicherungsschutz ohne Risikozuschläge und ohne Wartezeiten ab Vollendung der Geburt, wenn am Tage der Geburt ein Elternteil mindestens drei Monate beim Versicherer versichert ist und die Anmeldung zur Versicherung spätestens zwei Monate nach dem Tage der Geburt rückwirkend erfolgt. Der Versicherungsschutz darf nicht höher oder umfassender als der eines versicherten Elternteils sein.
Soweit so einfach, oder? Doch kommen wir dann auf den oben genannten Fall zurück und schauen und die Frage nach der Schwangerschaft (was natürlich so auch für andere Erkrankungen gilt) einmal genauer an. Damit es einfacher wird, nehmen wir einen korrekten Fall an, unterstellen also feste Zeiträume und Termine.
1.) Antragstellung auf private Krankenversicherung erfolgt am 01. 05. 2017, Beginn soll der 1.8. sein
2.) Der Antrag wird dem Versicherer übersandt und geht noch am 02. 05. 2017 dort ein
3.) Am 10. 05. 2017 übersendet der Versicherer die “Annahmeerklärung” mit der Bestätigung zum 01. 08. 2017, die eigentliche Police wird am 15. 07. 2017 verschickt, kommt bei dem Kunden am 17. 07. 2017 an.
4.) Der Beitragseinzug der Erstprämie erfolgt am 01. 08. 2017 und findet ohne Probleme statt (Sonderfälle wie nicht gedecktes Konto oder falsche Abbuchung lassen wir hier einmal außen vor)
Soweit sieht das alles noch recht unkompliziert aus. Die Schwangerschaft war zum Zeitpunkt der Antragstellung weder bekannt noch konnte angenommen werden. In unserem oben genannten Fall stellen sich zwei Fragen:
A.) Was passiert, wenn die Schwangerschaft durch einen Arzttermin am 05. 05. festgestellt wird, also vor Erhalt der Annahme
B.) Was passiert, wenn die Schwangerschaft durch einen Arzttermin am 20. 05. 2017 festgestellt wird.
Dazu schauen wir uns zunächst nochmal die weitere, gesetzliche Grundlage im Versicherungsvertragsgesetz an.
Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG)
§ 19 Anzeigepflicht
(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet.
(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.
In unserem Fall war die Abgabe der Vertragserklärung, die Antragstellung am 01. 05. 2017. Die Annahme erfolgte am 10. 05. 2017. Was passiert nun mit der Schwangerschaft, muss ich diese dem Versicherer noch anzeigen? Dazu unserer zwei Beispiele.
Im Fall A wurde die Schwangerschaft nicht angegeben, das war ja zu diesem Zeitpunkt nicht einmal bekannt. Klar, theoretisch könnte man jetzt kommen und sagen “die Dame hätte vielleicht ahnen können…”, nein, sie wusste es aber zu diesem Zeitpunkt nicht, es gab weder einen Test noch einen Arztbesuch dazu. Daher konnte eine Angabe zur Schwangerschaft nicht gemacht werden.
Nachfragen erfolgten vom Versicherer nicht. HÄTTE dieser aber am 06. 05. 2017 noch einen Fragebogen zu einer anderen, angegebenen Erkrankung geschickt und dort wäre eine Frage a la “hat sich der Gesundheitszustand seit Antragstellung verändert?” gewesen oder die Kundin hätte eine Erklärung unterschreiben sollen “mein Gesundheitszustand hat sich seit Antragstellung nicht verändert”, so wäre hier natürlich die, seit dem 05. Mai bekannte Schwangerschaft ggf. anzeigepflichtig gewesen, wenn es hierzu einen Arztbesuch hab. Das gilt auch für alle weiteren Erkrankungen und Beschwerden, nach denen gefragt wird.
Im Fall B wurde auch hier die Angabe der Schwangerschaft nicht gemacht. Warum auch? Bei Antragstellung war diese nicht vorhanden, nur weil es vielleicht eine Vorahnung geben könnte oder es “passiert sein könnte” ist es kein anzeigepflichtiger Umstand. Nachdem der Versicherer bereits die Annahme erklärt hat und damit der Antrag zustande gekommen ist, besteht ab dem Zeitpunkt des Versicherungsbeginns, in unsrem Fall ab dem 1. August 2017, hier Versicherungsschutz
ACHTUNG – WARTEZEITEN
Aber hier ist noch ein anderer Punkt zu beachten. Dazu schauen wir uns einmal den Punkt Wartezeiten an. Diese sind in § 3 der Musterbedingungen geregelt und dort heisst es:
§ 3 Wartezeiten
(1) Die Wartezeiten rechnen vom Versicherungsbeginn an.
(2) Die allgemeine Wartezeit beträgt drei Monate. Sie entfällt bei Unfällen. [Anm. NEIN; Schwangerschaft ist KEIN Unfall]
(3) Die besonderen Wartezeiten betragen für Psychotherapie, Zahnbehandlung, Zahnersatz und Kieferorthopädie acht Monate.
Es könnte also sein, dass hier in den ersten 3 Monaten nach Versicherungsbeginn, also vom 01. 08. 2017 bis zum 01. 11. 2017 kein Versicherungsschutz besteht. Das hat weniger mit der Schwangerschaft, sondern mit den allgemeinen Wartezeiten zu tun. Doch was ist dann mit den Untersuchungen, Behandlungen oder gar bei neuen Erkrankungen oder Komplikationen bei der Schwangerschaft???
Da hilft wieder ein Blick ins Gesetz, denn der (5) regelt das schon. Dort heisst es:
(4) Sofern der Tarif es vorsieht, können die Wartezeiten aufgrund besonderer Vereinbarung erlassen werden, wenn ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand vorgelegt wird.
(5) Personen, die aus der privaten oder gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschieden sind, wird bis zur Höhe des bisherigen Krankentagegeld- oder Krankengeldanspruchs die nachweislich dort ununterbrochen zurückgelegte Versicherungszeit auf die Wartezeiten angerechnet. Voraussetzung ist, dass die Versicherung spätestens zwei Monate nach Beendigung der Vorversicherung zusammen mit einer Krankheitskostenversicherung beantragt wurde und der Versicherungsschutz in Abweichung von § 2 im unmittelbaren Anschluss beginnen soll. Entsprechendes gilt beim Ausscheiden aus einem öffentlichen Dienstverhältnis mit Anspruch auf Heilfürsorge.
(6) Bei Vertragsänderungen gelten die Wartezeitenregelungen für den hinzukommenden Teil des Versicherungsschutzes.
Wartezeiten können also entfallen. Entweder wenn es eine ärztliche Untersuchung gab, oder durch Anrechnung der Zeiten in der bisherigen Versicherung, beim Krankentagegeld nur bis zur Höhe des bisherigen KT’s. Wer also neu in der PKV als Angestellte 130 € tägliches Krankentagegeld beantragt, bisher aber nur ca. 90 € in der GKV oder einer anderen privaten Vollversicherung hatte, der bekommt auch nur für die 90 € die Wartezeit erlassen. Für ärztliche Behandlungen, Schwangerschaftsuntersuchungen etc. hilft dieser Erlass der Wartezeiten auch, denn so besteht ab dem 01. 08. 2017 voller Versicherungsschutz, wenn dieses vereinbart und die Zeiten der Vorversicherungen nachgewiesen werden/ wurden. Dieses geschieht meist mit einer Bescheinigung der alten gesetzlichen oder privaten Versicherung über die “Dauer der Mitgliedschaft”.
Praktische Beispiele
Nehmen wir an, unsere Versicherte hat den Erlass der Wartezeiten beantragt und die Vorversicheurngszeiten nachgewiesen. Am 01. 08. beginnt nun Ihre Zeit in der privaten Krankenversicherung.
1.) Am 10. 07., 10. 08. und 10.09. sucht diese den Frauenarzt auf und lässt die entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen für die Schwangerschaft durchführen. Wer zahlt diese?
Nun, die Untersuchung am 10. 07. fällt in den Schutz der alten Versicherung, also in unserem Fall der gesetzlichen Krankenkasse. Diese übernimmt wie bisher die Untersuchung auf Chipkarte. Auch wenn hier Medikamente verordnet werden (auch wenn diese über den 01. 08. hinausreichen) bezahlt diese die GKV. Wird also Folsäure oder andere Präparate verordnet und ein Rezept für die nächsten vier Wochen ausgestellt, so kann die Patientin die Medikamente auf Kosten der GKV auch einfach abholen und einnehmen.
Die Untersuchungen am 10. 08, 10.09. und alle weiteren zahlt dann die private Krankenversicherung im Rahmen des Versicherungsschutzes. Meist greift hier eine anteilige Selbstbeteiligung, nicht die volle SB.
Lesetipp: anteilige Selbstbeteiligung bei unterjährigem Versicherungsbeginn
Medikamente welche in diesen, neuen Terminen dann verordnet werden, gehen natürlich auch zu Lasten der privaten Versicherung. So ist das mit allen anderen Erkrankungen und Beschwerden natürlich auch.
2.) Über den Wechseltermin im Krankenhaus?
Auch hier kann natürlich der Fall eintreten, eine Behandlung dauert über den genauen Wechseltermin an. Nehmen wir an ein Unfall am 28. 07. führt dazu, dass unsere Patientin am 28. 07. eingeliefert und erst am 03. 08. wieder entlassen wird. Solche Fälle sind selten, können aber auftreten. Auch hier findet eine Teilung der Kosten statt. Ab dem 31. 07. um 23:59 Uhr ist der Schutz der GKV zu Ende. Damit endet hier auch die Leistungspflicht. Die private Krankenversicherung ist dann ab diesem Zeitpunkt zur Leistung verpflichtet, Wartezeiten bestehen in unserem Fall hier nicht.
Insgesamt ist so ein Wechsel daher eher unproblematisch, die Schwangerschaft ist anzugeben (besser und richtiger: die Untersuchungen sind anzugeben, auch wenn diese aufgrund einer Schwangerschaft erfolgten) und dann kann der Versicherer über die Annahme entscheiden. Aber: Ist die Schwangerschaft noch nicht bekannt sondern vielleicht nur “vermutet” oder “es könnte passiert sein”, so sind hier die genauen Antragsfragen zu beantworten. Da steht eben nicht “Was könnten Sie haben” sondern was haben/ hatten Sie an Arztbesuchen, Behandlungen, Beschwerden.”
Wieder sehr interessanter Artikel! Eine Frage bzw. Ergänzung zu Fall A: Ich gebe Ihnen Recht, dass die Schwangerschaft nicht aktiv hätte gemeldet werden müssen. Eine Meldung empfiehlt sich allerdings aus meiner Sicht, da sonst kein Leistungsanspruch für Behandlungen für die Schwangerschaft besteht (Versicherungsfall, der vor Versicherungsbeginn eingetreten ist und noch keine Annahme erfolgt ist, gedehnter Versicherungsfall).
Emma
Wenn ich vor und bei meiner Vertragserklärung alle Gefahrumstände, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, angegeben habe, und der Versicherer dann noch Fragen nachschiebt (bevor er meine Vertragserklärung annimmt) – was passiert, wenn ich diese Fragen nicht beantworte?
Zum Beispiel kann es ja sein, dass die Gesundheitsfragen, die bis zur Vertragserklärung gestellt wurden, für mich äußerst vorteilhaft waren, aber der Versicherer jetzt für mich negative Fragen “nachschiebt”.
Riskiere ich einen Eintrag ins HIS, oder mache mich der Anzeigepflichtverletzung schuldig, wenn ich nicht antworte? Oder riskiere ich, dass der Versicherer meinen Antrag nicht annimmt, und dann bei einem zukünftigen Antrag angeben muss, dass von mir schon mal “Anträge abgelehnt oder zurückgestellt wurden”?
Ich mache mir nach diesem Artikel Sorgen, dass ich trotz “perfekter” Beantwortung der Gesundheitsfragen Probleme bekommen könnte, nur weil der Versicherer nachfragt.
Mir ist noch nicht ganz klar was Sie genau meinen.
Einen HIS Eintrag gibt es bei der PKV nicht.
Alle Nachfragen sind auch zu beantworten, wenn der Versicherer diese bis zur Annahme in Schriftform stellt. Oder was meinen Sie genau?